Unser Immunsystem schützt uns vor gefährlichen Erregern und wehrt dadurch Krankheiten ab. Normalerweise unterscheidet es dabei zuverlässig zwischen „gut“ und „böse“, also körpereigenen und -fremden Zellen. Wenn unsere Immunabwehr jedoch beginnt, eigene Strukturen mit feindlichen Eindringlingen zu verwechseln und diese zu attackieren, spricht man von einer Autoimmunkrankheit. Warum sie entstehen, welche Krankheiten dazu gehören und ob eine Heilung (bald) möglich ist, haben wir recherchiert.


Was sind Autoimmunerkrankungen?
Der Begriff Autoimmunerkrankung leitet sich aus dem Griechischen ab („autos“ = „selbst“) und beschreibt eine Gruppe von Krankheiten, bei der sich die Abwehrkräfte gegen Zellen und Gewebe aus dem eigenen Körper richten. Rund 5-8 Prozent der Weltbevölkerung leiden unter solchen Erkrankungen. Damit bilden sie die dritthäufigste Erkrankungsgruppe nach Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen. Statistisch gesehen nimmt die Häufigkeit der Autoimmunerkrankungen seit den letzten Jahren jedoch immer mehr zu. Meist treten sie zwischen dem 20. bis 50. Lebensjahr auf. Laut Experten treffen
sie eher Frauen als Männer, da manche weiblichen Hormone Entzündungen eher begünstigen.


Welche Autoimmunerkrankungen gibt es?
Circa 80 verschiedene Arten sind derzeit bekannt, die sich auf verschiedene Körperbereiche und Organe beziehen. Je nach Art der Erkrankung sind nämlich unterschiedliche Gewebegruppen betroffen. Potentiell kann jeder Bereich im Körper betroffen sein.

Autoimmunerkrankungen können sich entweder nur auf bestimmte Organe beziehen oder aber im gesamten Körper auftreten und sich gegen Gefäße, Gelenke, Bindegewebe und mehrere Organe richten. Ist der gesamte Körper betroffen, spricht man von systemischen Autoimmunerkrankungen. Auch eine Mischung beider Varianten kann auftreten, man bezeichnet sie dann als intermediäre Form.

Zu den bekanntesten organspezifischen Erkrankungen zählt unter anderem der Diabetes Mellitus Typ 1, bei dem die Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse, die für die Insulinproduktion verantwortlich sind, zerstört werden. Weitere Beispiele sind Multiple Sklerose  (MS; Nervenzellen), Hashimoto-Thyreoiditis (Schilddrüse) sowie Colitis Ulcerosa und Morbus Crohn (beide Darm), Vitiligo (Haut) oder kreisrunder Haarausfall  (Haarwurzeln). Auch die Zöliakie, also eine Glutenintoleranz, betrifft ein bestimmtes Organ. Dabei bilden sich Antikörper im Dünndarm. Sie ist eine Mischform aus Autoimmunerkrankung und Allergie.

Beispiele für die systemischen Autoimmunerkrankungen sind Schuppenflechte, die Haut, Gelenke und Fingernägel betrifft, ebenso wie Rheumatoide Arthritis (Bindegewebe von Gelenken und Sehnen) und das Churg-Strauss-Syndrom, bei dem sich Antikörper gegen die Gefäße richten.


Wie entstehen Autoimmunerkrankungen?
Um zu verstehen, warum der Körper sich im Fall einer Autoimmunerkrankung selbst bekämpft, sollte man wissen, wie die Immunabwehr im Körper arbeitet: 

Ein funktionierendes Immunsystem wehrt Bakterien und Viren ab, die von außen versuchen, in den Körper einzudringen. Dabei sind sogenannte T-Zellen im Körper aktiv. Wie Soldaten auf einer Burg halten sie Wache und Ausschau nach Eindringlingen. Haben sie mögliche Krankheitserreger lokalisiert, werden
die B-Zellen benachrichtigt. Diese wiederum bilden Antikörper, also eine Art Waffe, um die schädlichen Erreger zu bekämpfen. Die Antikörper bewirken eine Entzündungsreaktion, die alle fremden Erreger eliminiert.


Warum ist die Immunabwehr bei Autoimmunerkrankungen fehlerhaft?
Jede Körperzelle verfügt über eine Art Erkennungsmerkmal. Das sind bestimmte Moleküle, die auf der Zellmembran liegen. Körperfremde Zellen dagegen tragen andere Moleküle. Dadurch können sie vom Körper als fremde Erreger identifiziert werden.

Bei einer Autoimmunerkrankung erkennt die Immunabwehr die merkmalsgebenden Moleküle nicht und hält die körpereigenen Zellen deshalb fälschlicherweise für unwillkommene Eindringlinge. Die Folge: Chronische Entzündungen, die nach und nach das komplette Gewebe zerstören.
Richten sich Antikörper gegen den eigenen Körper, werden sie Autoantikörper genannt.


Was sind die Auslöser?
Welche genauen Ursachen Autoimmunerkrankungen haben, ist nicht eindeutig erforscht. Klar ist jedoch, dass das Erbgut eine Rolle spielt. Nicht umsonst finden sich in Familien häufig mehrere Betroffene. So haben zum Beispiel Zwillingsstudien ergeben, dass das Risiko für den zweiten Zwilling an MS zu erkranken um 25 Prozent höher ist, wenn der erste Zwilling bereits von der Krankheit betroffen ist.

Da das Risiko in vielen Fällen jedoch nur erhöht ist und nicht 100 Prozent beträgt, müssen auch noch weitere Faktoren involviert sein. Das können zum Beispiel Umwelteinflüsse wie Zigaretten, UV-B-Strahlung oder andere Schadstoffe sein. Ebenso denkbar sind Infekte, Stress oder bestimmte Medikamente als Auslöser. Zudem treten Autoimmunkrankheiten auch nach hormonellen Veränderungen häufiger auf, wie einer Schwangerschaft, Geburt oder der Menopause. Frauen haben ein etwas höheres Erkrankungsrisiko, prinzipiell kann eine Autoimmunkrankheit aber jeden treffen.


Worin unterscheiden sich Autoimmunerkrankungen und Allergien?
Beide Krankheiten sind auf eine Fehlfunktion des Immunsystem zurückzuführen, bei welcher der Körper harmlose Zellen für Krankheitserreger hält. Während es bei Autoimmunerkrankungen jedoch körpereigene Zellen fälschlicherweise als körperfremd einstuft und bekämpft, gibt es für eine Allergie einen anderen Auslöser. Hierbei werden eigentlich harmlose fremde Strukturen für böse Krankheitserreger gehalten, etwa bei einer Pollen – oder Tierhaar-Allergie. Zudem treten Allergien deutlich häufiger auf. In Deutschland leidet jeder fünfte daran, jedoch nur circa acht Prozent unter einer Autoimmunerkrankung.


Welche Behandlungsmethoden gibt es?Autoimmunerkrankungen sind bisher leider nicht heilbar, da die genauen Ursachen noch nicht eindeutig erforscht sind. Ziel ist es jedoch, irgendwann eine Therapie zu entwickeln, welche die Fehlsteuerung des Immunsystems aufhebt, sodass es sich nicht mehr selbst angreift. Bis dahin können die einzelnen Krankheiten jedoch nur behandelt werden. Je nach betroffenem Körperbereich unterscheiden sich die Behandlungen jedoch erheblich.


Medikamentöse Behandlung
Allgemein wird jedoch versucht, Hormone an den Körper zurückzuführen, die ursprünglich durch die zerstörten Zellen gebildet wurden. Im Falle von Hashimoto sind das zum Beispiel Schilddrüsenhormone, Menschen mit Diabetes dagegen müssen sich Insulin spritzen, welches die Bauchspeicheldrüse nicht mehr produzieren kann.

Wer jedoch zum Beispiel unter Zöliakie leidet, sollte auf den Auslöser Gluten verzichten. Es verursacht die Entzündung auf der Dünndarmschleimhaut und ist nicht überlebenswichtig.

Auch entzündungshemmende Medikamente, wie Ibuprofen, Paracetamol, Diclofenac oder Acytlsalicylsäure kommen bei systemischen Autoimmunerkrankungen zum Einsatz. Immunsuppressiva, die das Immunsystem unterdrücken und Biologika, welche die Kommunikation zwischen den Immunzellen zerstören, sind ebenfalls Behandlungsvarianten.

Generell wird zudem empfohlen, auf einen gesunden Lebensstil zu achten, da auch Umweltfaktoren Auslöser sein können. Das bedeutet vor allem, sich gesund zu ernähren, Alkohol nur in Maßen zu konsumieren, nicht zu rauchen und genügend zu schlafen.


Experimentelle Medizin: Daran arbeitet die Forschung
Seit dem Jahr 2017 laufen Studien, bei denen Kinder unter drei Jahren, die mindestens zwei Verwandte mit einem diagnostizierten Diabetes Mellitus Typ 1 haben, eine Art Impfung erhalten. Ob diese jedoch wirksam sind, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Auch für Rheumatoide Arthritis und Colitis Ulcerosa wurden bereits ähnliche Untersuchungen angestellt und an Tieren getestet.

 Eine ähnlich experimentelle Therapie ist das sogenannte „Immunreset“. Durch das Ausschalten des Immunsystems soll der Krankheitsverlauf unterbrochen und teilweise gar rückgängig gemacht werden. Dabei werden Gedächtniszellen, die mit Fehlinformationen versehen sind und deshalb Antikörper produzieren, mit einer Chemotherapie behandelt. Sie enthält Antikörper gegen menschliche Immunzellen und vernichtet die krankmachenden Zellen und das Immunsystem. Da die Behandlung sehr radikal und mit hohen Risiken verbunden ist, wird sie in Deutschland aktuell nur sehr selten angewandt. Erlaubt ist dies auch nur in absoluten Härtefällen, bei denen Medikamente nicht mehr helfen, häufig in Form von wissenschaftlichen Studien.

In einem weiteren Therapieansatz wird der Körper künstlich unter Stress gestellt und mit richtigen Krankheitserregern bombardiert. Die Hoffnung: Die Abwehrkräfte sollen sich dann gegen den tatsächlichen Eindringling richten und von den eigenen Körperzellen abwenden.